Jugendsünde
- discotaxi5
- 1. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Es war einmal – in den späten 80er-Jahren – ein junger Mann, ein frischgebackener Vater, der hörte tagsüber oft Radio. Und was er dort serviert bekam, ging ihm auf den Wecker. Beispielsweise die nöligen Töne eines Mundartbarden namens Polo fand er eine Zumutung. Der Typ war schon 45 (!) und machte sich ihm Äther umso breiter, je weniger ihm textlich und musikalisch einfiel. Dachte der junge Mann. Dabei hatte er die Lieder des alten Knackers ein Dutzend Jahre zuvor durchaus interessant gefunden. Aber nun flutete dieser Polo das Land mit berndeutschen Bierzeltversionen von leicht abgeänderten Südstaaten-Hits. Und die deklarierte er nicht einmal, sondern gab sie als Eigenkompositionen aus. Das wiederum fand der junge Mann lustig, und er beschloss, mit genau diesem Rezept ebenfalls ein Lied zu „komponieren“. Ein berndeutsches Spottlied über den omnipräsenten Mundartsänger. Als Vorlage diente „Stray Cat Blues“ von den Stones, und der Text schrieb sich fast wie von selbst: Ein paar 1:1 übersetzte Zeilen aus dem englischen Original und möglichst viele Zitate aus Polo-Hofer-Texten.
Die Studioaufnahme war - inklusive B-Seite - in wenigen Stunden im Kasten und wurde als Single einer Band namens „The Polo Lovers“ veröffentlicht. Sie wurde auch einmal im Radio gespielt. Als Überraschung für den Gast, als man Polo Hofer zu einem stündigen Interview ins Studio eingeladen hatte. Der hatte keine Freude an dem Lied. Er schäumte. Das Lied lief zwar kein weiteres Mal im Radio, aber es stellte sich heraus, dass der junge Mann eine recht aktive Band hatte und es an Konzerten live spielte. Der junge Mann war ich. Und die Polo Lovers waren die notorischen Baby Jail – für die Aufnahme in der Babypause in leicht veränderter Besetzung.
Das eigentlich harmlose Spottlied wurde als Majestätsbeleidigung aufgefasst. Polo war wirklich angepisst, und zusammen mit ihm ärgerten sich solidarisch auch seine Fans. Ein kleiner prädigitaler Shitstorm war die Folge. Baby Jail hatten zwar eine wachsende Fangmeinde, aber per sofort waren Konzerte im Gebiet zwischen Interlaken und Burgdorf Mangelware. Einzig in der Berner Reitschule und im Café Mokka Thun wurden wir weiter regelmässig gebucht. Das normalisierte sich erst wieder mit dem Chartserfolg mit „Tubel Trophy“ zwei Jahre später.
Und irgendwann musste es natürlich soweit kommen, dass Baby Jail und Polo am selben Ort spielten. Der Anlass auf dem Bundeshaus war gross, der Platz gefüllt mit vielen tausend Leuten. Aber der Backstagebereich war übersichtlich genug, dass man schon sehen konnte, wer sich da so rumtrieb. Ich sah, wie Polo grimmig vor seinem Weinglas sass und dachte, es sei an der Zeit für ein paar Worte. Ich ging also zu seinem Tisch und sang „This town ain’t big enough for the both of us“… Nein, ich sagte wohl eher etwas im Stil von “Hallo Polo, wir sind diejenigen, die dir vor drei Jahren ein Lied gewidmet haben, das dir nicht so recht gefallen hat.“
Der Sänger grinste schief und meinte: „Ich weiss genau, wer ihr seid.“ Dann redeten wir bei vielen Getränken über alles Mögliche und kamen überein, dass es Zeit sei, das Kriegsbeil zu begraben. Stunden später schleppte er uns alle noch in den Bronco-Club, wo er offenbar Ehrenmitglied war. Mit dem reaktionären Rockerschuppen wurden wir allerdings nicht so richtig warm und suchten bald den Heimweg.
Polos Wege und meine kreuzten sich noch ein paarmal flüchtig, ohne dass ein wahrhaftes Gespräch oder gar Besäufnis stattfand. Vielleicht hätte ich das anstreben sollen. Denn ein paar Jahre später erfuhr ich, dass Polos Verstimmung über das Lied von 1990 keineswegs abgenommen, sondern sich im Gegenteil noch verschärft hatte. Die feuchtfröhliche Versöhnung auf dem Bundesplatz hatte er offenbar längst vergessen oder verdrängt. Von Journalisten auf meine Texte bei „Schtärneföifi“ angesprochen, kam er richtig in Fahrt und höhnte, Kinderlieder seien das verdiente Abstellgleis für so traurige Gestalten wie mich. Ich sei jetzt da, wo ich hingehöre, neben Peter Reber und Linard Bardill. „Boni Koller hat den Rock’n’Roll verraten“ ereiferte er sich gar, als Roman Wasik ihn 2012 als „kritische Stimme“ für seinen Baby-Jail-Dokfilm befragte. Ganze 22 Jahre nach dem Sakrileg immer noch beleidigt.
Eine seltsame Geschichte irgendwie. Polo Hofer war nie eine Lichtgestalt für mich, aber als Fünfzehnjähriger war ich von seinen Texten immerhin so angetan, dass ich mir die ersten zwei Rumpelstilz-Alben kaufte. Später ging mir auf die Nerven, dass es zu jedem Modethema ein gemütliches Polo-Lied gab. In meinen Augen versank Polo mit seiner bauernschlauen Art in der Beliebigkeit, wobei man ihm ein halbwegs solides Handwerk beim Texten kaum je absprechen konnte. Wenn ich an die Mundartlieder späterer Jahre denke, kommt er nachträglich auf jeden Fall viel besser weg. Aber damals war er halt die singende Windmühle, gegen die ich meinte, anrennen zu müssen…

THE POLO LOVERS 1990 von links nach rechts:
Hepl Caprez (Schlagzeug)
Boni Koller (Text und Gesang)
Sandra Blumati (Gitarre)
Sibylle Aeberli (Gitarre)
Bice Aeberli (Bass)
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