"Blizzard King" auf dem Olymp
Mein Weg zum Olymp
Freitag 6.5.2016
Ich habe es geschafft, mein Rucksack und ich! Fünf Stunden rauf und vier wieder runter, 1800 Höhenmeter mal zwei. Das ist mein Bericht von diesem speziellen Tag.
6.15
Es wird hell, bald geht die Sonne auf. Ich habe wenig geschlafen und stehe auf. Der Wecker sollte erst um 6.30 losgehen, aber nun mache ich mich lieber bereit. Die Wirtin gibt mir ein mobiles Frühstück (Apfel, Banane und Schinken/Käse-Toast) mit auf den Weg.
7.00
Ich verlasse die Pension Olympus, fahre durch das noch schlafende Litochoro und dann auf die Bergstrasse zum Parkplatz Prionia auf 1100m.
7.30
Dank leerer Strasse bin ich in 30 Minuten am Ziel. Zwei weitere Autos stehen beim geschlossenen Restaurant, zwei Hunde schlafen am Waldrand. Ich weiss nicht, ob die Autos Bergwanderern gehören oder den Leuten vom Restaurant. Ich esse die Banane und stelle fest, dass es hier keinen Handyempfang mehr gibt. Merkt es jemand, falls mir etwas zustossen sollte? Ja, Familie und Freunde würden sich spätestens am Abend sorgen, wenn sie nichts von mir hören.
7.40
Ich packe den Rucksack und marschiere los auf dem Weg E4. Als erstes mahnt ein Schild, man solle schnell gehen, weil hier ständig Felssturzgefahr bestehe. Das bezieht sich zwar nur auf die Stelle bei der Holzbrücke, aber das mulmige Gefühl hält auch im Wald noch länger an. Riesige Felsbrocken sind irgendwann am steilen Abhang zum Stillstand gekommen, und umgestürzte Bäume säumen den Weg. Nach einer Weile wird der Weg freundlicher und führt jetzt an der anderen Talseite aufwärts.
8.15
Nach einem Drittel der unteren Wegstrecke gibt es einen Rastplatz mit Tisch und ich verzehre mein restliches Frühstück aus der Pension.
8.30
Es geht weiter stetig bergauf. Der Weg verläuft jetzt oft Abgründen entlang, denen man nicht zu nahe kommen möchte. Ich achte gut auf jeden Schritt, dann ist das kein Problem. Das Wetter ist ein Gemischtwarenladen: blauer Himmel in Richtung Meer, Wolken oben an den Gipfeln, ab und zu ein paar Regentropfen, weiter oben Schneeflocken. Wenn die Sonne kommt, ist es sofort drückend heiss, einen Moment später friere ich wieder. Vlies auf den Rucksack binden, Jacke auf und zu... Lange denke ich, die Schutzhütte sei ein Punkt am Berg links, doch schliesslich merke ich, dass sie weiter rechts oberhalb einer Felswand in Sicht kommt. Ich bleibe ab und zu stehen und trinke Wasser, damit das Herz nicht überanstrengt wird. Endlich rückt die Hütte näher, ich bin gespannt, ob da Leute sind.
9.55
Ich komme zur Schutzhütte Spilios Agapitos auf 2100m. Hier können in der in der Saison bis zu 110 Leute schlafen. Sie öffnet aber erst in 10 Tagen. Alles ist geschlossen, weit und breit kein Mensch. Aber: ich habe hier Handyempfang! Meine SMS, die ich unten beim Parkplatz Prionia an Elena senden wollte, ist tatsächlich verschickt. Sofort schreibe ich eine zweite, dass ich jetzt bei der Hütte bin und sende auch diese ab. Noch immer habe ich keinen Menschen getroffen, da ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass man von hier aus wenigstens Hilfe rufen könnte wenn es nötig wäre. Und zuhause weiss man jetzt auch genauer wo ich bin. Ich esse noch eine Kleinigkeit und mache ein paar Fotos mit dem Selbstauslöser. Da mein Hemd am Rücken völlig nassgeschwitzt ist, packe ich es in den Rucksack und ziehe ein frisches T-Shirt an.
10.20
Ich verlasse Spilios Agapitos und gehe weiter bergauf. Nach einer Viertelstunde führt der Weg direkt in die Reste eines Lawinenkegels. Der Schnee ist recht tief, und es führen keine Spuren hindurch. Bin ich der allererste, der dieses Jahr zum Gipfel will? Das wäre dann doch eine Spur zu gewagt. Ich überlege umzukehren und suche nach einem Weg um den Schnee herum. Und ich finde nicht nur den Weg, sondern beim nächsten Schneefeld auch Fussspuren, die hindurch führen. Also weiter. Es wird kalt. Meine Mütze liegt in Asprovalta, also bastle ich mir mit Käppi und Schal einen Ersatz.
11.00
Nachdem ich seit vier Stunden nur Wind und Vogelgezwitscher gehört habe, knirschen von weiter oben Schritte. Da kommt einer bergab! Es ist ein Engländer, der mir erzählt, er sei bereits gestern bis zur Hütte aufgestiegen, hätte dort übernachtet und sei heute früh hinauf zum Gipfel Skala gekraxelt. Oben habe er zunächst nichts gesehen, dann habe es einen Moment aufgerissen. Sonst sei niemand oben, aber es sei gut zu machen. Wir wünschen einander Glück und ich steige weiter hinauf. Das Wetter ist gegen oben sehr garstig. Noch immer ist keine Spur eines Gipfels zu sehen, ich steige im Nebel immer weiter hinauf. Nur Richtung Tal reisst es ab und auf, das Ziel bleibt unsichtbar. Der Weg verläuft jetzt lange über ein steil geneigtes Geröllfeld. Auf einem Meter Breite liegt Schnee, rechts geht es rauf, links geht es runter. Der Schnee entpuppt sich als beste Variante, um trittsicher voranzukommen. Eine grosse Hilfe sind mir die Fussspuren des Engländers, vor allem jene, die bergab führen. Von oben sieht man den direkten Weg oft besser. Ich spüre die Höhe. Jeder Schritt ist anstrengend, und ich muss immer wieder kurz anhalten und Wasser trinken.
12.15
Als der Weg dicht an die Krete heranführt, reissen die Wolken kurz auf. Ich kann schneebedeckte Felswände sehen, aber noch immer keinen Gipfel. Die Wolken sind turmhoch, hoffentlich entwickelt sich das nicht zu einem Gewitter. Wegrennen wäre hier schwierig. Endlich kommt im Nebel eine Felsnase in Sicht, hinter der es ins Leere geht. Ist das der Gipfel?
12.35
Geschafft! Ich stehe auf dem Olymp! Auf dem Gipfel Skala, 2866m. Zwar bin ich nicht auf dem höchsten Gipfel Mytikas, aber den hatte ich auch nicht wirklich im Sinn. Dort ist am Schluss eine Kletterpartie angesagt, und allein und im Schnee würde ich mir das niemals antun. Aber sehen möchte ich den Gipfel wenigstens. Rundum ist Nebel und es sind einige Grade unter Null.
Ich esse eine Spanakopita, und plötzlich ist nebenan der nächste Gipfel zu sehen. Schnell ein Foto! Sieht gar nicht so sehr nach Klettern aus, aber auf dem Weg dorthin liegt viel Schnee, und ab hier führen keine Fussspuren mehr weiter. Ich will schon fast wieder talwärts aufbrechen, da reissen die Wolken hinter mir auf. Und da steht er, direkt gegenüber, ein majestätischer Turm aus Fels: Mytikas, der Hauptgipfel, 2918 Meter hoch. Der andere Gipfel zu meiner Linken muss demnach Skolio (2911m) sein. Die Wolken ziehen den Vorhang pausenlos auf und zu, aber es wird Zeit für den Abstieg. Auf 15.00 ist Schneefall angesagt und auf morgen Unwetter. Die Wolken sehen nicht ganz ungewittrig aus, und auf dem gesamten Rückweg wäre es ungemütlich, in schlechtes Wetter zu geraten. Ich bin schon losgegangen, da sehe ich über mir sehr viel blauen Himmel. Vielleicht sieht man jetzt noch etwas weiter in die Ferne? Also nochmals zurück auf den Gipfel, ich fühle mich stark genug für die paar Extrahöhenmeter. Mytikas zeigt sich nochmals in seiner ganzen Pracht, aber besser als vorhin ist die Sicht nicht geworden.
13.05
Ich beginne den Abstieg. Der Nebel ist streckenweise dicht, nach oben – also in meinem Rücken – ist die Sicht aber besser als vorhin beim Aufstieg. Das Abwärtsgehen ist nur von der Kraft her weniger anstrengend. Im Schnee ist es dafür recht knifflig und mit der Zeit melden sich die Knie. Es ist wie stundenlanges Treppensteigen. Jeder Schritt muss sitzen. Ein Sturz wäre nicht überall lebensgefährlich, aber am scharfkantigen Gestein könnte man sich übel verletzen. Ob heute noch jemand so hoch hinauf steigt, ist zweifelhaft und selbst wenn – Hilfe holen wäre aufwändig und kompliziert. Auch das Steissbein möchte ich mir nicht stauchen. Also konzentriert Schritt für Schritt bergab, und wenn nötig die Hände zu Hilfe nehmen.
14.00
Ungefähr am selben Ort, wo ich vor drei Stunden dem Engländer begegnet bin, kreuze ich zwei junge Griechen, die auch zum Gipfel Skala wollen. Ich bin froh, dass ich schon wieder auf dem Weg nach unten bin, denn das Wetter bleibt eine Wundertüte. Es ist sehr kalt, und ich bin froh, dass ich warme Sachen dabei habe. Der Schnee ist nun überstanden, doch rutschig bleibt es auch auf dem Geröll.
14.30
Ich bin wieder bei der Hütte. Ein junges Paar mit zwei Hunden ist angekommen. Sie kommen aus Belarus und schiessen Fotos. Weiter hinauf wollen sie nicht mehr. Ich mache kurz Rast und melde mich per SMS bei Elena.
14.45
Ich nehme die letzte Etappe unter die Füsse. Die Hunde gehören offenbar nicht zu den Weissrussen, sie traben auch talwärts und begleiten mich ein Stück. Irgendwann zweigen sie hangaufwärts vom Weg ab und sind verschwunden.
15.15
Ein junges griechisches Paar keucht bergauf. Sie fragen, wie lange es noch dauere bis zur Hütte. Ich gebe Auskunft und zeige, dass man sie von hier aus bereits sehen kann. Ich gehe weiter und rechne, dass ich in etwa einer Stunde unten sein werde. Für beide Etappen habe ich aufwärts je ca 2 Std 15 Minuten gebraucht, abwärts schaffte ich die obere in 1 Std 30. Die untere ist aber von der Strecke her doch etwas länger. Das merke ich jetzt, denn die Sache zieht sich hin, während die Beine immer schwerer werden. Der Weg ist aber häufig immer noch so holprig, dass ich auf jeden Schritt achten muss. Einmal rutsche ich fast auf einer Wurzel aus, dann stosse ich mir den Zeh, als ich kurz nicht aufgepasst habe. Es dauert ewig, bis ich den Rastplatz, an dem ich das Frühstück verputzt habe, erreiche. Ich trinke noch etwas Wasser, dann nehme ich das letzte Stück in Angriff. Der letzte Fussgänger, dem ich an diesem Tag begegne, ist eine Eidechse am Wegrand.
16.45
Ich höre das Rauschen des Wasserfalls und menschliche Stimmen. Kurz vor 5 stehe ich wieder auf dem Parkplatz, auf dem nun mehrere Autos stehen. Ein paar Ausflügler fotografieren den Wasserfall und kehren ein im Restaurant, das nun geöffnet ist. Die beiden Hunde sind längst da und liegen im Schatten beim Restaurant. Ich verstaue meinen Rucksack im Auto und setze mich auf die Terrasse. Ein kaltes Bier!
17.15
Ich breche auf und fahre zurück nach Litochoro. Unterwegs fotografiere ich den Blick in die Ebene. Hier unten ist ein schöner Frühlingstag, während sich der Olymp weiterhin in dunkle Wolken hüllt.
18.00
Ich holpere im ersten Gang durch die engen Gassen aufwärts und bin wieder in der Pension.
Allgemein:
Es heisst, man solle unbedingt genug Wasser mitnehmen auf diese Tour, weil es nirgends einen Brunnen oder eine Quelle gibt. Ich hatte drei Liter mit, davon aber fast einen Liter wieder hinuntergetragen. Wäre es ein heisser Sommertag gewesen, hätte ich diesen aber wohl gebraucht. Der Weg ist relativ gut beschildert, vor allem gibt es nur diesen einzigen (E4). Die Wegweiser sind eigentlich überflüssig, sie zeigen nur in welche Richtung es hinauf oder hinunter geht, und darauf könnte man auch von selbst kommen. Der Olymp ist kein Familienberg, der Weg ist anspruchsvoll, auch schon bis zur Hütte. An diesem Tag waren hier (mit mir) insgesamt 8 Personen unterwegs, 4 davon waren ganz oben, 4 gingen nur bis zur Hütte.
Fazit: Ich habe es in einem einzigen Tag und ganz allein geschafft, den Olymp zu besteigen. Natürlich ist das eigentlich unverantwortlich. Es wird empfohlen, die Berghütte am Tag vorher zu erreichen und dort mindestens eine Nacht zu verbringen, damit man genug Kraft für den Aufstieg zum Gipfel hat. Aber ich hätte es wohl vom Termin her nicht geschafft, in absehbarer Zeit jemanden zu finden, der als Begleiter für diese Wanderung geeignet wäre. Vom Wetter her habe ich wohl den besten Tag dieser Woche erwischt. Einige Tage vorher war es gewitterhaft, dann regnerisch und noch kälter. Für den folgenden Tag (Samstag) war stürmisches Wetter angesagt, ich hörte das Donnern aus den Bergen, als ich bei den Ausgrabungen in Dion war und mit Muskelkater über die 2500 Jahre alte Hauptstrasse der ehemaligen Stadt spazierte.
Ich bin überglücklich über diese gelungene Tour und auch ein wenig stolz auf mich. Mit bald 55 habe ich durch Schnee und Nebel den Gipfel erreicht. Das gibt Kraft und Euphorie. Oder frei nach Jim Morrison: I am the blizzard king – I can do anything :-)